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Eine Geschichte von Brigitte Fischer - Mund

 
Die Nagelschuhe, die mir vorausgehen, sind abgenutzt, gebraucht, geschunden und gewöhnt, schwierigste Gegebenheiten zu besteigen.

Rechts neben mir wächst in Schulterhöhe der Berg; links, neben dem wenige Zentimeter breiten Pfad, ein abfallender, schwindelerregender Abgrund, der mir dennoch ein erhabenes, zufriedenes Gefühl gibt. Der erhaschte Blick nach unten muss schnell wieder auf den schmalen Steg gerichtet werden, denn dieser ist wechselnd, kurvenreich, holprig und wird stellenweise sehr schmal.

Abrupt dreht sich alles, denn in Gegenrichtung steigen die Bergschuhe meines Vorgängers, und in Sekunden richtet sich mein Blick rechts hinunter in die Welt.

Die Welt, in der ich die Greifvögel von unten mit viel Glück bewundern konnte. Welch eine Freude, sie in ihrer mir unbekannten Schönheit von oben beobachten zu können. Die uns entgegenspringenden Felsen, aus denen in jeder Spalte ein Gewächs vorsichtig, doch wie selbstverständlich, uns vorwitzig entgegen sprießt; die Eidechsen, die, von uns gestört, hastig ihren warmen Sonnenplatz verlassen, geben mir ein Gefühl des Außergewöhnlichen, fast Exotischen.

Mein Vorgänger steigt in gleichmäßigen Schritten und stetem Tempo. Mein Puls ist erhöht. Die Muskeln in den Beinen sind angespannt. über mir - unter mir - was ist reizvoller? Den Gipfel ersteigen, übervoll von erreichter Höhe, übervoll vom extrem abfallendem Berg.

Wieder nur solch rasche Gedanken. über mir „steht“ der Mann, von dem ich die Schuhe sah, zu den Bergen passende Schuhe, er steht über mir im wahrsten Sinne und das auf dem schmalen, sich nach kurzen Strecken immer wieder wendenden Pfad. Er ist gleichsam erwachsen geworden in diesen Schuhen.

Nun schaut er, seitlich gedreht, in „sein“ Land hinunter und sicher mit anderen Gedanken und Gefühlen als ich. In diesem weit unten liegenden Land ereignete sich alles, was diesen Mann ausmacht: Die Berge umschließen seine Heimat, seine Kindheit, Vater und Mutter. Freude, Enttäuschungen stiegen und fielen wie seine Berge und wie dieser, mir schwer werdende, Pfad.

Er liest wohl in meinem Gesicht, und ein bestimmtes Lächeln, sowie ein Ausdruck von Verständnis macht mich mutig ihm zu folgen.

Schwerer fällt mir nun das Weitergehen. Immer wieder unterbricht ein Treppchen mit stark ausgetretenen Treppenstufen den engen Weg. Sie sind ungleich kurz, überlang, ausgetreten. Frage ich ihn, wie alt sie sein könnten, so antwortet er mit einem Achselzucken - und sein Vater und Großvater hätten es auch nicht gewusst. Ich zähle zurück, - sie könnten so etwa . . . ; . . . ich rutsche vom Pfad ab und gleite in einem Geröll von Schieferstein, werde aufgefangen von den hier wachsenden Gebinden.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als auf allen Vieren die paar Meter hoch zu hangeln, um meinen Körper auf den Weg zu drehen und vor Schreck dort ein wenig auszuruhen. „Damit muss man rechnen“, so mein Begleiter, selbst ihm würde das hin und wieder passieren.

Ich schiebe diese Unachtsamkeit jedoch auf meine vielen Gedanken und die mich aufregenden Eindrücke. Ich nehme mir vor, nur noch zu denken, wenn ich sicheren, festen Boden unter den Füßen habe oder, wie jetzt, gut sitze. Zu meinem Erstaunen und meiner Freude setzt er sich zu mir, und unsere Beine hängen fast gerade den Berg hinunter.

Er spricht lange nicht; und doch verstehe ich ihn. Jemanden lieben zu sehen, versunken in unerkaufte Gefühle und dies in gewissem Maße nachzuvollziehen, macht demütig und dankbar. Ich habe plötzlich das Gefühl unser, - sein Ziel erreicht zu haben, - zufällig, doch endgültig.

Die Sonne, die noch vor einer Stunde, als wir am Fuße des Berges standen, die Blätter in den Höhen goldgelb erscheinen ließ, ist weitergezogen. Diese andere Stimmung belebt nun meinen Winzer. Er beginnt, genauso ruhig zu sprechen, wie sein Schritt war, als seine Nagelschuhe ihn hinauftrugen.

„Schauen Sie“, spricht er, „diese Reihe“, und damit zeigt er auf eine Weinstockreihe, „die links neben mir in die Tiefe abfällt, ist die Grenze zu meinem Weinberg. Mein Vater pflanzte, als ich 12 Jahre war, diesen Weinberg an. Ich musste helfen. Ich weiß es noch gut. Was wir brauchten, wurde hochgetragen in Kiepen oder auf den Rücken zusammengepackt. Es war zu meiner Jugend selbstverständlich,dassdie Jungen, je nach Alter, dem Vater, die Töchter der Mutter helfen mussten. Sicher gingen wir auch oft lieber spielen, so wie alle Kinder auf der Welt, doch ich bin heute meinem Vater dankbar; denn die Liebe zu der Natur, der herben, nackten Natur, die Liebe zu unserem Calmont, wie dieser Berg hier heißt, und dadurch zu unserem Wein wurde mir früh in Blut gesetzt.“

„Sind diese Weinstöcke alle so alt“ frage ich vorsichtig, um ihn nicht zu unterbrechen.

„Nein, viele mussten im Laufe der Jahrzehnte ausgehauen und junge Pflanzen eingegeben werden und bei jedem Weinstock, den ich neu pflanzte, dachte ich an die Zeit mit meinem Vater, der mit der damaligen Ruhe und Gelassenheit diesen Weinberg zum Leben brachte.“

Eine kurze Pause, in der ich nicht ein Wort zu sagen wage, und er erzählt mir von den guten Weinjahren, wie aus diesem Weinberg die Trauben in der Traubenkiepe bis runter an den Erntewagen gebracht wurden. Das waren jedoch nicht solche Erntewagen, wie sie heute üblich sind, nein, es war ein Wagen, auf dem eine Holzbütte stand, und der von einer Kuh, die fast jeder Winzer in seinem Stall hatte, gezogen wurde - oder später gar von seinem ersten Deutz.

Es sind herrliche Weine gewesen, die er in seinem Keller ausbauen konnte. Es kommen einige Jahrgänge ins Gespräch, wobei er auch die Missernten nicht ausl. Dies nennt er nur am Rande, als wenn er das Unschöne eigentlich vergessen hätte und nur seine guten Weine wichtig sind.

„Wissen Sie“, so fährt er fort, „der Wein bestimmte unser Leben. Wir waren so arm,dasswir nur an besonderen Tagen von dem - „Guten“ - tranken, unser - „Haustrunk“ - musste uns gut genug sein. Gottseidank ist das heute anders geworden als zu meiner Zeit, doch besser und leichter haben es unsere Kinder auch nicht, im Gegenteil. Sie müssen schneller arbeiten,- es ist hektischer geworden, man nennt es Streß.“ Dabei fingert er an seinem Rucksack und hat plötzlich eine alte grüne Weinflasche in der Hand und einen Korkenzieher. Seine knochigen, derben Hände ziehen den alten Korken vorsichtig aus der Flasche. Dieses Geräusch und das liebevolle Einschenken in ein kleines Glas passen zu diesen groben, „verschafften“ Händen, und sie werden so etwas wie zärtlich.

Er hebt das Glas ins Licht, bewegt es kreisend hin und her, prüft das Bukett des Weines, trinkt, und nichts in Welt hätte mich dazu gebracht, seinen Genuss zu stören. Er gibt mir das Glas, und es wird mir sonderbar.

Kann ich diesen Wein würdigen?

Ein kurzes Riechen und ein ebenso kurzer, eher verlegener Schluck.

Bei der Geste, das Glas zurückzugeben, winkt er ab, - „Mädchen, trink!“ Wie selbstverständlich trinken wir nacheinander aus einem Glas.

In weinschlürfender Selbstvergessenheit kehrt wieder die Atmosphäre des Berges ein und das Abendgeläut der Bremmer Glocken krönt diese Stimmung.

„Siehst Du,“ - er duzt mich nun, und noch nie war ein so schnelles "Du" , so angenehm, „siehst Du auf der Mosel die Fischreiher? Sie waren nicht immer hier und sind für mich ein gutes Zeichen, dass es der Natur hier besser geht.“ Ich versuche angestrengt, die großen Vögel zu erkennen. Auch Flusskrebse gebe es seit Jahren wieder. Die Wildschweine und Rehe mit ihren Fährten weiß er mir genau zu erklären und wie weit sie sich zu den Menschen wagen, was nicht unbedingt gut für die Weinberge sei, dochdasssie zu seinem Leben gehören wie alles in der Natur. Irgendwann habe er einen kleinen Fuchs großgezogen, der ihm und seiner Familie viel Freude brachte, eines Tages jedoch seine Freiheit suchte, was er ganz natürlich fand.

So ruhig wie er sprach, so ruhig packt er nun alles wieder ein, mit jung gebliebenen Beinen steht er behende auf und hilft auch mir auf die Beine.

Ich lasse mich treiben. Der Wein wirkt und verleiht mir Mut, gegebenenfalls weiter zu steigen. Doch es scheint, als gehe es zurück. Vertrauensvoll tapse ich wieder hinter ihm her, konzentrierter nun, denn es wird dunkler. Es ist nicht der gleiche Weg. Den getretenen Pfad rechts neben uns habe ich vorher nicht erkannt, und so steigen wir über den „Kopf“ in eine andere „Kaul“. Er zeigt mir weit über uns einen Weinberg, der zu seinem elterlichen Besitz gehörte, den seine Schwester dann erbte und zu dem er immer noch eine starke Bindung habe.

Es geht weiter hinunter und ich merke, wie das Bergab mir schwerer fällt als der Aufstieg. Wohl durch die Wirkung des Weines komme ich mir wie ein hopsendes Reh vor, das mit dem lockeren Geröll sein Spiel treibt. Auch bei „meinem“ Winzer erkenne ich die Wirkung des getrunkenen Weines, oder ist das die Zufriedenheit, die ich urplötzlich in seinen Augen erkenne?

Ja, die Augen, das wird mir erst jetzt bewusstt, waren und sind das Besondere an diesem Mann, der so viel älter ist als ich und doch eine Jugend ausstrahlt, die ihn anziehend, ja fast attraktiv macht.

Es ist kühler geworden und die Weinstöcke enden rechts von uns vor einer fastsenkrechten „Kanzel“, anders kann ich diesen glänzenden Schieferfelsen nicht beschreiben.

Im Frühjahr, erzählt er, hole er den Felsensalat aus diesen „Layen“, wie hier die Felsen heißen. Ich verstand „Feldsalat“ und wunderte mich. Nein, Felsensalat, dem Löwenzahn ähnlich, sehr vitaminreich und nur kurze Zeit genießbar. Er wirkt Wunder im Blut. Gut, nur scheint es mir unmöglich, dort etwas zu pflücken. Ausgebildeten Bergsteigern würde ich es zutrauen. Für ihn war es selbstverständlich.

Um an diesen Felsen vorbeizukommen, müssen wir entweder bäuchlings zum Felsen oder mit dem Rücken zu ihm uns vorsichtig vorbeitasten. Dabei fassen meine Hände den Stein an, und ich fühle eine unvermutete Wärme, angenehm und überraschend.

Ich frage.

Das sei das Großartige an diesen Steillagen und im besonderen am Bremmer Calmont - die Sonne wärmt den Schiefer, dieser gibt die Wärme nachts an die Weinstöcke ab. Wieder etwas Neues, Natur total ! Um das an den Stöcken zu erleben, wage ich mich vorsichtig in den darunterliegenden Weinberg, halb sitzend betaste ich die Schieferstücke und genieße den wärmenden Moment.

Halbwegs das Gleichgewicht haltend, sehe ich nun auch die mir vorher unvorstellbare Arbeit am Weinstock, zu dem der Winzer bis zu sechzehn Mal im Jahr geht. Viel bücken muss sich keiner. Zum Berg gewandt ist die Schneide- und Laubarbeit in fast gerader Haltung zu schaffen und bei einer halben Drehung zur Mosel die gleiche Arbeit am oberen Teil des Stockes der unteren Reihe.

Mein Winzer ist schon weiter und es ist gut so, denn er braucht nicht zu sehen, wie ich hilflos, ungelenk und ziemlich deprimierend aus dem Weinberg krabbele.

Er steht nach einer Kehrtwendung des „Pädchens“ vor einer Weinbergsmauer. Diese, so erzählt er, habe er vor ‘zig Jahren angelegt. Ich versuche nicht, mir diese Arbeit vorzustellen, frage nur, ob die anderen Winzer dies gewürdigt hätten.

„Weißt Du, Mädchen, wenn die anderen hier nicht vorbei kommen, kann ich es auch nicht!“ Meine Achtung vor diesem Berufsstand wächst ständig, wobei ich diesen Beruf des Winzers als Berufung sehe.

Berufung, eine Köstlichkeit herzustellen, Berufung zur Natur, Berufung zum Handwerker, zum Bergsteiger, berufen eine bedrohte Kultur aufrechtzuerhalten, was ihm und seinen Zeitgenossen gemeinsam selbst in der ärmsten Zeit seines Lebens auch gelang.

Und er meint,dassdiese bedrohliche Zeit wieder käme - in einer anderen Form und mit anderen Konflikten. Er vertraute aber stark den einzelnen Kämpfern, wie er sie nennt, die mit den heutigen Gegebenheiten und Möglichkeiten den immer noch edlen Wein aus den Moselsteillagen dem Wein- und Kulturliebhaber näherbringen. Denn vieles komme und gehe, und es sei auch oft gut so, nur was Fundament besitze - er vergleicht dies auch mit den Höhen und Tiefen einer guten Ehe oder Freundschaft - habe Bestand und gebe Kraft zu kämpfen.

Wieder etwas Nachdenkenswertes - doch wie war das mit dem Denken und dem Abrutschen... ? !

Einige Kurven und Biegungen stolpere ich mehr als ich gehe, nun aber den Winzer hinter mir, der ebenso gelassen und ruhig den Berg hinabsteigt, wie er ihn bestiegen hat.

Die Mosel kommt näher, die Autos höre ich schon und sie werden größer. Die Welt hat uns wieder.

Ein anderer Winzer, der auch heimfahren will, grüßt; und der moselfränkische Dialekt, von dem ich nur einzelne Worte verstehe, fliegt hin und her.

Den Satz : „Kimmst mol vorbeii mit dim Mädsche, ich hon noch en good Flasch Ween im Kella !“ habe ich natürlich verstanden.

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